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Jubiläum

20+20 = 40 ------ 2020 ist 40 Jahre Rote Fabrik

Es war einmal im Jahr 1892 ein preussischer Seidenfabrikant namens Karl Gustav Henneberg, der liess sich eine rote Ziegelfabrik bauen. Dann wollte er doch lieber Kunst sammeln in seiner Villa und verkaufte die Fabrik 1899 weiter an die Seidenwebereien Stünzi und Söhne. In deren Firma gab es laut einem Arbeiterprotokoll aus dem Jahr 1907 grossen Zusammenhalt unter den Arbeiter*innen, so sammelten sie zum Beispiel Kartoffeln für die Ärmeren unter ihnen. Durch den Aufstieg der Kunstseidefasern wurde die Firma schliesslich „ins Verderben gestürzt“. So haben Kunst und soziale Bewegungen die Geschichte der Roten Fabrik von Anfang an geprägt.

Dann stand die Rote Fabrik lange leer. Eigentlich sollte sie abgerissen werden, um Platz für den Bau des „Grossen Seetunnels“ von Wollishofen nach Tiefenbrunnen zu schaffen. 1973 lancierte die SP eine Initiative für den Erhalt der Roten Fabrik und deren Nutzung als Kulturzentrum. Die Initiative wurde 1977 mit grosser Mehrheit angenommen. Danach waren alle Beteiligten zufrieden. Vereinzelte Kulturveranstaltungen durften stattfinden, sonst geschah nicht viel. Auch Verschleppungen zählen zu den Ankerpunkten dieser Geschichte (wie zum Beispiel die heute noch ausstehende Renovation der Brandschäden von 2012.)

Alle Beteiligten? Nein. Die verdorbenen Jugendlichen aus Zürich und Umkreis, die bereits 1968 in den “Globus-Krawallen” ein autonomes Jugendzentrum forderten, krawallierten fröhlich weiter. Diese Proteste mündeten in die “Opernhaus-Krawalle”, welche von der bürgerlichen Gesellschaft mit Entsetzen als “vom kommunistischen Osten gesteuert” wahrgenommen wurden. Die Jugendlichen veranstalteten in der Aktionshalle unbewilligte Konzerte und brachten mit einem Festival „Leben in die tote Fabrik“. Die Zürcher Stadtbevölkerung taumelte in Angst, die Jugendlichen würden das Areal besetzen – ist die Besetzung leerstehender, unbenützter Räume der Stadt Zürich doch bis heute ein hartnäckiger Dorn im Fusse. Um dieses Unheil abzuwenden, wurde die Nutzung erst toleriert, und seit 1987 sogar staatlich subventioniert. 1980 wurde die Interessengemeinschaft Rote Fabrik gegründet, die seitdem die Rote Fabrik als Kollektiv führt.

Was ist für mich die Rote Fabrik?

Das alles habe ich nicht miterlebt. Trotzdem hatte die Rote Fabrik für mich von Kind an den Zauber des Etwas Anderen: Da gibt es Graffiti an den Wänden und Leute, die diese mitten am Tag hinsprühen; da gibt es ein Puff in der Nachbarschaft, dem man durch die Fenster zu linsen versuchen kann; da gibt es das Kino am See, das schönste und älteste Freiluftkino Zürichs! Da gibt es nacktbadende alte Frauen und Männer, denen man abschauen kann, wie die eigene Zukunft aussieht. Da gibt es die Fabrikzeitung, die mich als Teenie meine erste Interview-Erfahrung machen liess – ein schweissgebadetes Interview mit Dirk von Lotzow von Tocotronic. Schliesslich das Fabriktheater, das neben Kooperationen mit dem Theaterspektakel ein wichtiger Unterstützer der freien Theaterszene ist. Nächstes Jahr veranstalten sie zum fünften Mal den Inkubator, ein Nachwuchsprogramm zur Produktion von Kurzstücken und Performances. Auch hier habe ich mit meinem Theaterkollektiv eine meiner ersten Bühnenerfahrungen erlebt. Daneben war die Rote Fabrik für mich die Erfahrung, dass man nicht, wie meine Tante sagt, mit dem Alter gewisse Dinge anders sieht – denn ich habe diese Erfahrungen nicht nur mit anderen Jugendlichen, sondern mit Menschen jeden Alters geteilt.

In gewisser Weise liegt in diesem Areal für mich bis heute ein Versprechen. Und gerade Zürich mit seiner goldigen Postkartenoberflächlichkeit braucht diesen Raum, sich anderes vorstellen zu können. Wahrscheinlich werden in Zukunft da immer noch die gleichen Leute hocken, welche die IG bei ihrer Gründung mitbegleitet und sich seither nicht vom Fleck bewegt haben. Vielleicht werden sie aber auch den Stab an die nachfolgenden Generationen überreichen, damit diese dort alt werden und unter den Mammutbäumen einer neuen jungen Generation zeigen können, dass ein anderes Zürich möglich sein kann, und wie ein runzeliger Körper nackt aussieht.

Die vierzig Jahre Feiereien, die sich über das ganze Jahr und corona-bedingt darüber hinaus verteilen, huldigen der Roten Fabrik mit Führungen durch das Fabrikareal, angeleitet von Alteinsässigen und aktuellen Fabrikmitarbeiter*innen; mit Radio und TV Sendungen von Zürcher Kultur- und Politkollektiven; mit einem grossen Jubiläumsfest mit Workshops, Musik und Veloflicken; dem interaktiven Game „Total Make Rote Fabrik Intelligent again“ vom Dock 18 und Studierenden der ZhdK; einer Besetzungs-80ies Party von ehemaligen Krawalljugendlichen mit Happenings in allen Künsten; Podiumsreihen, KunstAustellungen und Jubiläumskonzerte im Ziegel oh Lac zur Geschichte der Fabrik in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, mit Archivmaterial, Arbeiten von ehemaligen und gerade in den Ateliers ansässigen Künstler*innen und Musiker*innen. Ein Stück Fabrik zum Mitnehmen gibt es auch: das grosse Jubiläumsbuch.

Text: Sophie Steinbeck


RÜCKBLICK

#RFSC - ROTE FABRIK SUMMERCAMP


Was sollen wir sagen. Die Crew hinter dem Jubiläums-Projekt Summercamp hat dem Innenhof vor dem Clubraum regelrecht wieder Leben eingehaucht. Nach der langen Corona bedingten Stille wurde im Juli so viel Herzblut in Form von Musik, Performances, Offenen Lesekreisen, Partys, Clitzerstube, Märkte, neue Projekte angerissen, Diskussionen und politischen Aktionen reingesteckt, dass wir wünschten der Juli würde nochmals von vorne beginnen!

Das entstandene Manifest aus Textil im Innenhof erinnert uns noch einen Moment daran und die Sitzgelegenheiten von Manuel Fischer laden weiterhin zum Geniessen ein.

Wir danken dem Team und den Mitwirkenden rund um das #RFSC für den gewaltigen Einsatz und dem Radio Bollwerk für den grossartigen Radio-Container!





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